Über eine Epoche, in der man seine Kinder der Post anvertraute und Menschen Briefe und Karten so schätzten, dass sie mit dem Leben beschützt wurden. Eine animierte Kurzgeschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert.
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Postkarten überbringen oft liebevolle Grußbotschaften. Sie können aber auch verwendet werden, um kleine Geschichten zu erzählen - ob die Schreibende jemandem über ein besonderes Erlebnis berichten will oder ob sie in einer zärtlichen Liebeskarte von einer gemeinsamen Beziehung und Zukunft schwärmt. Diese Seite der Postkarte möchten wir in unserem Blog ebenfalls würdigen. Denn auch die Karte selbst hat viel gesehen und viel mitzuteilen. Sie führt stets ein bewegtes Leben - von einem Ort zum andern - und manchmal sind ihre Wege durchaus gefährlich. Von so einer wilden Ära handelt der folgende Text. Kommen wir ohne weitere Umschweife zu einem wahren Märchen:
Welches Bild erscheint vor Deinem inneren Auge, wenn Du an einen amerikanischen Briefträger im frühen 20. Jahrhundert denkst? Doch ganz bestimmt das eines Mannes mit wohlgerundeten Kurven und einer Melone auf dem Kopf, der in einer von einem Pferd gezogenen Kutsche, mit seinem Hund als Beifahrer, von Postkasten zu Postkasten galoppiert und dabei Briefe verteilt mit der Zielgenauigkeit eines professionellen Frisbeewerfers.
Oje, wenn dies wirklich Dein erster Gedanke war, dann weißt Du offensichtlich schon eine Menge über die Geschichte des Postwesens - ich hoffe, der restliche Blogeintrag wird Dich nicht langweilen... Jedenfalls liegst Du mit Deiner hellsichtigen Vision goldrichtig:
Was hier wegen der grobkörnigen Konsistenz auf den ersten Blick an mit Zimt besprenkelten Grießbrei oder eine morgendliche Portion Haferkleie erinnert, ist eine Szene aus dem Stummfilm 'The Hayseed', veröffentlicht von Paramount Pictures, 1919. Die Schauspieler tragen - heute im Allgemeinen undenkbare - Namen wie 'Fatty' Arbuckle und 'Buster' Keaton. Schenkt man diesem Film Glauben, so scheint das Leben eines Postboten kurz nach 1900 recht idyllisch gewesen zu sein. Der motorisierte Verkehr war überschaubar, man musste noch nicht täglich Pakete von Amazon und Zalando schleppen und wenn eine Zustellung doch einmal zu groß für den Einwurfschlitz war, wusste man sich zu behelfen:
Ein Kinderspiel! Der Überlandtransport des Postguts erfolgte damals mit der Eisenbahn und die mitreisenden Angestellten mussten nichts weiter tun, als Postbeutel mit Zustellungen an gekennzeichneten Stationen aus der Bahn zu werfen und im Vorbeifahren einen Sack mit neuen Briefen mitzunehmen:
Aber halt! Ich habe versprochen, mich hier an historische Tatsachen zu halten. Ganz so paradiesisch war das Leben eines Postarbeiters dann doch nicht. Abgesehen davon, dass die Sendungen aus Gründen der Effizienz ebenfalls unter Zeitdruck in der fahrenden Bahn sortiert wurden, weckte die allgemeine Beliebtheit des Postverkehrs auch Begehrlichkeiten bei Leuten, die eigentlich nicht als die jeweiligen Empfänger bestimmt waren:
Posträuber waren einsame Individuen ohne Freunde, die ihnen Briefe oder Karten schrieben. Sie schlossen sich daher zu Banden zusammen, um die Sendungen anderer abzufangen und sich in Lesekreisen mit fremden Schreiben zu trösten. Entweder das, oder sie waren hinter den Geld- und Wertpapiersendungen her - ich weiß, welche Geschichte mir besser gefällt, aber triff deine eigene Einschätzung, werte Leserin, werter Leser.
Sicherlich war auch die monetäre Verlockung groß - immerhin verschickte der Geschäftsmann W. H. Coltharp eine ganze Bank mit der Post. (Wenn ich unbedingt genauer sein muss: Er benötigte 40 Tonnen Ziegel zur Errichtung eines neuen Bankgebäudes. Weil dies billiger war als ein Transport per Güterwagen, ließ er sich das Baumaterial in kleinen Paketen - das erlaubte Paketgewicht lag bei 50 Pfund - liefern. Die heillos überforderte regionale Paketpost kam ihrer Pflicht zwar letztlich nach, die Aktion führte aber dazu, dass ein neues Limit für die Menge eingeführt wurde, die ein Auftragnehmer täglich senden und empfangen konnte. Man sah sich außerdem veranlasst zu der öffentlichen Stellungnahme, dass es nicht "Sinn des Postdienstes der Vereinigten Staaten sei, Gebäude zu transportieren".)
Jedenfalls erblühte der Postraub um 1920 in den U.S.A. In jenen schwarz-weißen Tagen lauerte in so manch krisseligem Zwielicht ein Schurke, auf der Jagd nach einer schön geschriebenen Postkarte oder wertvollen Papieren. Und wenn die Rohlinge besonders viel Glück hatten, konnten sie ein neues Familienmitglied mit nach Hause bringen, denn zu dieser Zeit wurden auch Kinder postalisch verschickt:
Okay, um bei den Fakten zu bleiben: Die eigenen Kinder als Pakete aufzugeben, war wohl keine weit verbreitete Praxis. Einige dokumentierte Fälle gibt es aber wirklich. Bereits im Januar 1913, wenige Wochen nach Einführung der Paketpost, sandten die Eltern des acht Monate alten James Beagle ihren "verpackten" Sohn für 15 Cent zu seiner Großmutter. (Die "Lieferung" war in der Höhe von 50 $ versichert.) Dieser erste bekannte Fall ist in der folgenden Schlagzeile einer alten Zeitung nachzulesen:
Wie der Anreißer eines Beitrags zu einer anderen Begebenheit zeigt, war die Legalität dieser Reisemethode freilich umstritten:
Dennoch berichtet auch dieser Artikel von der erfolgreichen Zustellung der dreijährigen Maude Smith. Das Mädchen habe während des Trips zwischen den Knien des Briefträgers auf einem Stapel Postsäcken gesessen und sich genüßlich an Süßigkeiten und einem roten Apfel vergnügt. Neugierigen Beobachtern habe sie freundlich zugewinkt. An ihrem rosa Kleidchen sei ein Etikett mit Briefmarken und einer Adresse befestigt gewesen. "Baby vom Postmeister persönlich entgegengenommen" lautete ein Vermerk.
Für das Verschicken von Kleinkindern sprach die Möglichkeit, seinen Nachwuchs unter Aufsicht eines Erwachsenen zu Verwandten zu senden, ohne selbst mitreisen müssen, oder auch schlicht die Kostenersparnis. Das billige Porto war wohl der ausschlaggebende Grund für das Abenteuer der fünfjährigen May Pierstorff, das durch die mediale Berichterstattung viele Amerikaner auf neue Ideen brachte und schließlich in dem Kinderbuch Mailing May verewigt wurde. Weil eine Fahrkarte zu teuer war, griffen ihre Eltern auf die Argumentation zurück, dass Pakete bis 50 Pfund erlaubt seien und keine Regel ausdrücklich das Überbringen von Menschen untersage. Durch diese bestechende Logik überzeugt, stellte man das Mädchen mit dem Postzug den Großeltern zu, die ihre Enkelin schon sehnlich zum Mittagessen erwarteten.
Die ganze Sache klingt natürlich zuallererst skurril, aber sie ist im Grunde auch ein Zeichen für das Vertrauen, das die Bevölkerung den Postbediensteten entgegenbrachte. Sie waren in manchen entlegenen Farmen die einzigen regelmäßigen Besucher und oft auch Helfende in Notsituationen, laut dem Smithsonian Magazine gelegentlich sogar - thematisch passend - Geburtshelfer. Die Meinung des Postfahrers W. E. Fawcett, der eine gewogene, frankierte und gestempelte Sieben- und eine Achtjährige ausgetragen hatte, wird im Springfield Missouri Republican des 3. Septembers 1918 so wiedergegeben: "Mr. Fawcett denkt, dass die Zustellung von ein oder zwei Kindern auf einmal in Ordnung ist, aber er ist froh, dass gegenwärtig nicht viele Eltern diese Idee haben und er fürchtet sich davor, irgendwann entlang der ganzen Route Kinder und in jedem Postamt Personen in Paketen vorzufinden".
Um einem solchen Szenario entgegenzuwirken, stellte First Assistant Postmaster General Koons schließlich 1920 klar, dass Kinder nicht unter die Klassifikation "harmloser lebender Tiere, die keine Nahrung oder Wasser während des Transports benötigen" fielen und ihr Versand wurde endgültig verboten. Damit endeten auch die Anfragen überfürsorglicher Eltern, wie ihr Sprössling korrekt einzuwickeln sei, um eine sichere Überstellung zu gewährleisten. Das obige Foto ist übrigens eine inszenierte Parodie, denn auch Zeitzeugen erkannten durchaus die Absurdität der Debatte.
Aber zurück zu den Räubern...
- Ende Teil 1 von 2. Um Teil 2 zu lesen, klick bitte hier. -