Dies ist Teil 3 eines dreiteiligen Artikels. Um Teil 2 zu lesen, klick bitte hier.
Spam und automatische Benachrichtigungen mit eingerechnet, werden täglich einige hundert Milliarden E-Mails verschickt. Besonders im privaten Bereich nutzen die meisten dieser Nachrichten das allerschlichteste Basisdesign: Weißer Hintergrund, schwarze Buchstaben in der Standardschriftart. In etwa also das Äquivalent zum minimalistischen Dublin-Zimmer mit den leeren Wänden.
Diese Schlichtheit ist teilweise dafür verantwortlich, dass die E-Mail ein so weit verbreitetes Medium ist, das sich mit unterschiedlichsten Programmen und Geräten aufrufen lässt. Es liegt in der Natur der Digitalisierung, eine ‚Materie’ von jeder ‚Form’ zu befreien und sie dadurch übertragbar zu machen. Du kannst Dir das leicht an den beiden in Teil 1 geschilderten Räumen veranschaulichen:
Der kahle Dublin-Raum lässt sich in eine Reisetasche packen und an jedem beliebigen Ort rekonstruieren. Das funktioniert aber nur, weil er gewissermaßen gar kein ‚richtiges’ Zimmer ist. Ein ‚echtes’ Zimmer, wie das in Wien, ist der organische Bestandteil eines Lebens: Hier ein Polaroid, das mein Bruder auf einem gemeinsamen Ausflug gemacht hat. Daneben das Buch, das mich gerade beschäftigt und die Postkarte mit den Geschichten einer früheren Freundin. Dort drüben die Vinylplatte, die ich letzten Freitag in einem Trödelladen ausgegraben habe („what, what?!“ singend) und die Lichterkette, die ich punschtrunken am Weihnachtsmarkt erstanden habe.
Alle diese Dinge sind an Erinnerungen geknüpft und haben für mich eine besondere Bedeutung, die sie einzigartig macht. Ich kann diese Objekte selbst mit gewissen Assoziationen ‚aufladen’. Dadurch wird meine Umgebung zu einer ‚Erweiterung’ meiner selbst und Ausdruck meiner Lebensweise.
Das Dublin-Zimmer ist hingegen ein starres Grundgerüst ohne lebendige Entfaltung im Laufe der Zeit. Um ehrlich zu sein, sah es auch deshalb so lieblos aus, weil von Anfang an die Grundannahme bestand, dass ich es bald wieder verlasse. So werde ich aber niemals nostalgisch zurückdenken und sagen: „Oh, wie schön war doch dieser sterile Raum, wie gerne wäre ich wieder an diesem Ort.“ Denn eigentlich hat er nie existiert: Er ist nur eine Kopie von Milliarden anderen, identischen Räumen.
Dasselbe gilt nun für Kommunikation: E-Mails können nahezu immer und überall gelesen werden. Fast alle Deiner privaten E-Mails sehen exakt genau so aus wie die Milliarden von anderen Botschaften, die täglich hin- und hergeschickt werden. Sie sind Massenware und deshalb verschwinden sie auch sehr rasch ohne bleibenden Eindruck in einem gleichförmigen Einheitsbrei.
Postkarten hingegen sind besondere Gegenstände und das Resultat einer erfüllenden Tätigkeit, mit der Du Dein Dasein verbringst. Sie sind mit Emotionen verbunden und haben eine physische Präsenz im Leben von Sender und Empfänger. Idealerweise wählst Du bewusst zwischen den verfügbaren Motiven unserer Karten, denn sie werden häufig zur Dekoration genützt oder auch Jahre später noch einmal melancholisch hervorgekramt und gelesen. Postkarten sind der Ausdruck eines reichhaltigen und kreativen Lebens, das mit Liebe und Begeisterung für die kleinen Dinge geführt wird.
Eigentlich kannst Du in einer grafischen Gegenüberstellung auf den ersten Blick erkennen, was ich meine. Hier ist das limitierte Design einer unserer Postkarten. Es stammt aus dem Lebenswerk der Malerin Christine Eder. Dieses Bild ist das Resultat des künstlerischen Schaffensprozesses eines individuellen menschlichen Lebens. Das Motiv etabliert eine Stimmung, die darauf wartet, in Deiner unverwechselbaren Handschrift um Deine persönlichen Gedanken bereichert zu werden.
Und hier ist das standardisierte Layout einer unendlich reproduzierbaren E-Mail:
Jep, da ist nur weiße, sterile Leere.
(Ok – vielleicht denkst Du jetzt, ich habe ein bisschen geschummelt und müsste mit dieser Leere eigentlich die Rückseite einer Karte vergleichen, die ebenfalls eine weiße Fläche ist. Aber: Weil wir hier vom Analogen sprechen, also von realen Gegenständen, können die Vorder- und Rückseite der Postkarte nicht voneinander getrennt werden.)
Na gut, ich werte aus: Postkarte 1 vs. E-Mail 0. Ein kampfloser Sieg, da die E-Mail nicht angetreten ist. Applaus, Applaus, hurra. Aber halt: Diese Rede von Einsen und Nullen klingt verdächtig nach der binären Logik digitaler Medien! So wie: 01001000 01101001. Es scheint, dass die E-Mail nicht zu besiegen ist, indem man gegen sie gewinnt. Gleichzeitig kann sich die E-Mail aber auch nicht mit der Postkarte messen. Also lasset uns Frieden schließen und sie beide umarmen:
Schlussendlich liegt es in Deinem eigenen Ermessen, eine Balance zu finden, die sich für Dich richtig anfühlt. Gerne kannst Du ab jetzt nur mehr durch Postkarten kommunizieren und so viele davon kaufen, dass Du und alle Deine Freunde eure Wohnungen damit tapezieren könnt – etwa so, wie damals, als Christo den Reichstag verhüllt hat. Aber vielleicht findest Du das ja ein wenig zu extrem…
Heute scheinen jedenfalls viele Menschen ein gesundes Miteinander verschiedener Medien anzustreben. Postkarten und E-Mails können sich ergänzen, so wie auch die Schallplatte neben Musikstreaming weiterleben wird.
Selbst wenn Du eher minimalistisch gesinnt bist und Dich vor zu viel ‚Krempel’ hütest, können Dich Postkarten ansprechen: Als kleine Gemälde sind sie federleicht und flexibel. Hänge sie an Deine Wand und erfreue Dich daran. Wenn Du Dich wieder von ihnen trennen möchtest, nimm sie ab oder schicke sie weiter und ermögliche jemand anderem den Kunstgenuss.
Die Digitalisierung ist bequem, birgt aber für jeden von uns die Gefahr, zu einer Person zu werden, die nur mehr stumpf auf dem kleinen Bildschirm ihres Smartphones Inhalte weiterwischt und weiterwischt und weiterwischt wie ein moderner Medien-Fließbandarbeiter. Diesem Schicksal kannst Du zum Glück leicht entgehen, denn obwohl damit so viele Vorzüge verbunden sind, ist das Schreiben einer Postkarte wirklich simpel. Die Karte verspricht ein gutes Leben für Dich und ihren Empfänger. Sie entzückt, spricht Deine Sinne an und ist nicht bloß ein Ding, sondern ein Ereignis.
In ihrem Kern steht die Postkarte für Geborgenheit wie für Abenteuer gleichermaßen. Geboren in einer analogen Welt, ist sie ein Medium der vielfältigen Leidenschaften und magischen Rituale. Sie ist eine papierene Eintrittskarte in ein Universum voller Sinnesfreuden. Die Postkarte kennt diese weite und verheißungsvolle Welt besser als jedes andere Medium, denn sie ist von Natur aus eine Reisende. Genieße ihre Vergnügungen und lade auch andere dazu ein, indem Du Deine Karten auf ihre abenteuerlichen Reisen schickst.
Wie der Schriftsteller Robert Louis Stevenson sagte: “Die Welt ist mit so vielen Dingen gefüllt, dass wir alle glücklich wie Könige sein sollten.“ Kein Medium weiß das besser als die kunstvolle und reiselustige Postkarte.
Jedenfalls werde ich mich jetzt von Dir verabschieden, meinen Laptop zuklappen und eine Karte verfassen. Ich möchte Christine gerne mitteilen, wie sehr ich mich gefreut habe, beim gemeinsamen Mittagessen letzte Woche zu hören, dass sie jeden Tag in ihrem Atelier den Pinsel schwingt. Ich will ihr sagen, wie schön es war, die Farbreste an ihren Fingern zu sehen. In einer elektronischen Nachricht würde sich das einfach nicht richtig anfühlen. Also nehme ich nun einen Stift zur Hand. Hm, über welches Motiv würde sie sich wohl freuen?
- Finis -